Mont Klamott – Wie kommt das Haus in den Berg?
Wie wirkten und wirken sich die Trümmerberge auf die Physiognomie der Stadt und den Organismus Stadt aus?
In meiner Arbeit über die Trümmerberge Berlins habe ich mich mit der Stadt, in der ich geboren bin auseinandergesetzt, sie erkundet und untersucht. Schwerpunkt bildet die Geschichte der Trümmerberge und die Auswirkung dieser künstlich angelegten Natur auf die Stadt und ihre Physiognomie. Das Relief und die Struktur der Stadt sind stark durch die künstlichen Berge geprägt. Die unverwertbaren Trümmer der zerstörten Häuser machten nach dem Zweiten Weltkrieg ein Drittel der gesamten Schuttmenge aus. Da nach dem Krieg nicht genügend Transportmittel zur Verfügung standen und es nicht möglich war, große Mengen über weite Strecken zu transportieren, wurde ein Plan erstellt, der vorsah, die Trümmer bevorzugt in brach liegenden Parklandschaften aufzuschütten. Durch die Anlegung von Naherholungsgebieten wurden sie in die Umgebung eingepasst.
Die Berliner tauften ihre Berge, die aus den »Klamotten« aufgeschüttet wurden, »Mont Klamott«. Nach fast 70 Jahren sind die Trümmerberge selbstverständlicher Teil der Stadtlandschaft. Viele Anwohner wissen nicht mehr, dass die Berge aus den Ruinen der Stadt bestehen.
16 Trümmerberge habe ich erkundet, fotografiert und im Archiv über ihre Geschichte recherchiert. Meine Fotografien der Berge dienen als Verweis, als aktuelle Referenz, sie markieren den Zeitpunkt, von dem aus ich zu der Entstehungsgeschichte der Orte zurückgehe. Das Fragmentarische ist in meiner Arbeit wichtig: Texte, Zeichnungen, Grafiken, Installationen, Videos und Archivmaterial stelle ich den Fotografien der Orte gegenüber. Die Lesart der Fotografien wird durch die Kombination verschiedener Medien erweitert, Bilddetails, die auf die Vergangenheit der Orte verweisen, können so erst als Spuren ihrer Geschichten gelesen werden. Die Fotografie macht sichtbar, wie Dinge mit der Zeit verschwinden, wie sie überformt werden. Mittlerweile sind viele Trümmerberge überwuchert und die Natur hat sich ihr Terrain zurückerobert.
Der Gedanke, dass sich die Stadtbewohner auf den unverwertbaren Trümmern Berlins erholen, könnte als Metapher für das Vergraben und Zudecken von Geschichte verstanden werden. Doch ich möchte diesen Gedanken widerlegen: Vielmehr stellte man sich mit der schnellen Beseitigung der Trümmer den pragmatischen Anforderungen der Nachkriegszeit: Die günstige und schnelle Beseitigung der Trümmer war wichtig, um Wohnraum zu schaffen, Leichen zu bergen und um den Ausbruch von Seuchen zu vermeiden. Die Grünanlagen wurden zur Verminderung der Luftverschmutzung angelegt. Auch mussten Infrastruktur und Versorgung wiederhergestellt werden, damit die Berliner durch die Beseitigung der Kriegsschäden Hoffnung schöpfen konnten.
Die Trümmerberge sind heute ambivalente Orte: Als Parks dienen sie der Erholung und dem Vergessen, dem Schönen, dem Zeitlosen, dem Vergnügen – und unter der Erde liegt unsichtbar ein Teil der Stadt und ihrer Architektur und Kultur, die durch den Krieg zerstört wurde. Die Berge erinnern kaum noch an den Krieg und an den Wiederaufbau: Aber sie bestehen aus Geschichte. Sie liegen inmitten der Stadt und bilden gleichzeitig einen Raum außerhalb der Stadt. Einige wenige Denkmäler, die an den Trümmerbergen aufgestellt wurden, schaffen ein Bewusstsein für die Entstehung der Orte. Dass die Berge als Erholungsorte genutzt werden, lässt jedoch kaum zu, dass sie primär zu geschichtsvermittelnden Orten werden, wie zum Beispiel Denkmäler oder andere Erinnerungsorte, die auf ein bestimmtes Ereignis verweisen.
Heute verschwinden Wege, die nicht benutzt werden, unter Grashalmen und Moos. Nur bei genauer Betrachtung ist erkennbar, dass die Vegetation dieser künstlichen Berge anders ist, als die der natürlichen, durch tektonische Prozesse und Erosion entstandenen Berge. Details verweisen auf die anthropogene Entstehung: Steile Anhöhen, die sich inmitten der flachen Stadtlandschaft erheben, Büsche, die etwas karg aussehen oder Bäume, die kraftlos in die Höhe wachsen oder umstürzen, da ihre Wurzeln zwischen den Trümmern keinen Halt finden. Scherben und Mauersteine geraten durch Erosion an die Oberfläche und blitzen unter der Erde hervor.
Die Trümmerberge sind trügerische Orte, an denen die Stadt nur schein- bar zur Ruhe kommt. Ein Teil ihres alten Organismus’, die Überreste der zerstörten Gebäude, liegen dort begraben.
CAROLINE BÖTTCHER is proudly powered by WordPress